Ungleichheit

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Da war doch was. Muss schon länger her sein.

Großes Rauschen in den Medien.

Ellenlange Berichterstattung.

Eine immense mediale Begleitung.

Technische Erörterungen. Fachkommentare. Einsatz von Flugzeugen, Schiffen, Navy usw. Anteilnahme. Trauer.

Nein, es geht nicht um das Bootsunglück in Griechenland am 14. Juni mit ca 700 Toten (viele Kinder, Frauen), nein, es handelt sich um die faszinierende Geschichte eines Tauchbootes, die „Titan“, gemietet für einen Ticketpreis von 250000 Dollar pro Person von 3 Passagieren, an Bord noch zwei Experten. Ein Tiefseeausflug zur 1912 gesunkenen Titanic (1514 Tote).

Eine aufregende Exkursion, wie titelt die Berliner Zeitung über die Motivation der 3 Passagiere an Bord der „Titan“: „Die Suche nach dem ultimativen Kick“. (22.Juni). Einer der Passagiere war der 58jährige Milliardär Hamish Harding, er habe für seine Familie, seine Firma und das nächste Abenteuer gelebt. Der Mann hat drei Einträge im Guiness Book of Records (2019 die schnellste Erdumrundung mit einem Flugzeug, 2021 Tauchgang im Mariannengraben, 2022 Tourist im Weltraum), die Erstellung dieser 3 Guiness Einträge dürfte Millionen Dollar gekostet haben.

Vermutlich ist das Mini-U-Boot bereits am Sonntag 18. 6. implodiert, die Insassen in Millisekunden gestorben, sie haben ihren eigenen Tod gewissermaßen nicht mitbekommen, es sei so, als werde plötzlich das Licht ausgeschaltet.

In den Medien wurde allerdings bis Donnerstag 22.6. gefachsimpelt, wieviel Sauerstoff noch vorhanden sei, natürlich eine schreckliche Vorstellung, jemand erstickt langsam.

Wie ist es wohl den Frauen und Kindern ergangen, die im Frachtraum des Flüchtlingsbootes eingesperrt ertranken? Dazu gab es keine Nachrichten.

Die zeitliche Nähe der beiden Ereignisse und der riesige Unterschied im Aufwand der Rettungsmaßnahmen gerieten ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Sind Menschen weniger empathisch mit den vielen ertrunkenen Geflüchteten, das Mittelmeer – ein Meer des Todes – , als mit den fünf privilegierten Menschen an Bord eines freiwillig gecharterten Boots für einen teuren Trip als Nervenkitzel. Hier Menschen, die vor Hunger, Krieg, Elend fliehen, dort Superreiche, die sich alles leisten können. Fünf Menschen in einem Tauchboot, Menschen aus unserem Kulturkreis, keine Flüchtlinge, Akteure mit sehr viel Geld, sind uns näher, erregen – medial gesteuert – unsere Aufmerksamkeit und unser Mitempfinden. Die ertrunkenen Flüchtlinge sind nicht mehr als eine Zahl.

Experten erklären das Entstehen von Mitgefühl und Empathie „mit der gefühlten Nähe oder auch Ähnlichkeit zu einer betroffenen Person“ (Neurowissenschaftlerin Grit Hein in der Welt vom 23.6.).

Geflüchtete erscheinen als namenlose, amorphe Masse, wir wissen nichts über die einzelnen Menschen.

Aber halt, wir wissen doch von den Zuständen in deren Heimat, wir sehen doch in den Nachrichten die Bilder von halb verhungerten Säuglingen, von ausgemergelten Müttern, die ihre Babys halten, von verdorrten Feldern und verhungerten Tieren.

Doch wir sind es gewohnt, wegzuschauen, wir blenden aus, wir spalten ab, das können wir alle in der sog zivilisierten Welt. Wir alle im „Norden“ leben auf Kosten der Armen im Süden. Wir versauen mit unserer Lebensweise die Erde und die Folgen müssen die tragen, die in Bangladesh oder Pakistan oder Afrika leben.

Diese Erkenntnis ist unangenehm, das wollen wir schnell vergessen. Es ist für manche schwierig, mit dieser Last an Schuld zu leben, doch viele können das bestens. Business as usual. Spaß haben. Das Positive sehen. Doch der kritische Blick bleibt und befreit von den Selbstlügen. „Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“ wurde dieser 1930 gefragt. Ja, wo bleibt es, fragt er zurück und beharrt auf seiner kritischen Sicht.

Noch klappt das mit dem Abspalten, doch die Folgen unseres Lebenswandels rücken langsam näher, Dürre in Spanien und in Frankreich, Überschwemmungen in Italien, Probleme mit der Trinkwasserversorgung in England, und auch Deutschland ist kein geschützter Ort.

Das zufällige Zusammentreffen zweier schrecklicher Ereignisse macht augenfällig, was immer schon Realität ist, die enorme Ungleichheit der Lebensweisen und deren Folgen auf dieser Erde, sichtbar z.B. in der Verteilung des Hungers in der Welt (https://www.welthungerhilfe.de/hunger/welthunger-index/), etwa 3,1 Millionen Kinder unter 5 Jahren sterben jährlich an Hunger. Wir wissen von der weltweiten Flucht vor Kriegen, wir wissen vom Sterben durch Krankheiten (z.B. 1,8 Mio Todesfälle durch Tuberkulose), wir wissen von der grausamen Behandlung von Frauen im Namen einer Gottheit.

Bodo Wartke „Nicht in meinem Namen“ https://www.youtube.com/watch?v=1hBVqgxA_Cg

Und ganz klar ist, Menschen in den reichen Ländern sind erheblich weniger betroffen.

„Denn die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, Die im Dunkel sieht man nicht“ (Brecht, Dreigroschenoper).

Schon beim Untergang der Titanic zeigt sich das. Passagiere der unteren Klassen starben weit mehr als die Benutzer der ersten Klasse, die Reichen wurden gerettet, die ärmeren Passagiere sind ertrunken. (de.statista.com)

Die Medien tragen ihren Teil dazu bei, dass effekthascherisch „Ereignisse“ in den Vordergrund gestellt werden, die uns zur Identifikation einladen. Es kommt hinzu, dass Wertungen vermittelt werden, die bei genauem Hinschauen fragwürdig sind. Da ist z.B. der Abenteurer Hamish Harding (RiP), mit seinen – aus meiner Sicht albernen – Eintragungen ins Guiness Book of Records. Ich fände es ganz schön, wenn man lesen könnte, Mr. Harding habe seine Millionen dafür eingesetzt, Schulen in Nigeria zu eröffnen, Brunnen in Namibia zu errichten, Krankenstationen in der Sahelzone aufzubauen. Stattdessen ist er für zigtausende von Dollar im Flugzeug um die Erde gerast (in 46 Stunden, 40 Min und 22 Sec), na toll.

Selbstverständlich sollte jeder in Lebensgefahr gerettet werden.

Betonung auf jeder und jede. Egal wo und egal wie reich oder arm. Eine gerechtere Verteilung der Bemühungen, mehr Menschlichkeit, mehr Fürsorge für die Ärmsten der Armen wäre eine sinnvolle Aufgabe und ein gutes Ziel für den homo sapiens.

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